Montag, 5. August 2002

Ich vertraute einem Freund eine Blume an. "Pass auf sie auf", sagte ich zu ihm, "sie bedeutet mir sehr viel und nur du sollst ihre Schönheit erblicken können. Halte sie von der Masse fern, denn sie wird nicht wissen, wie man mit dieser Schönheit umgehen muss." Der Freund willigte ein und ich überreichte ihm die Blume. Als ich von meiner Reise wiederkam, konnte ich bereits am Stadtrand Plakate mit Aufschriften erblicken. "Sensationell! Neue Wunderblume enthält ungeahnte Kräfte. Forscher entwickeln Heilsubstrat aus ihr." Wie ein plötzlich auftretendes Déjà-vu durchfuhr es mich und ich machte mich auf zu meinem Freund, in der Erwartung, dass er mir dies alles plausibel und rational erklären kann.
Bei seinem Haus angekommen, klopfte ich an der Türe. "Ist dort der Bonbon-Dienst?", hallte es hinter der Türe. "Hey, ich bin's!" Langsam bewegte sich ein Raunen auf die Türe zu und öffnete diese. Mit blutunterlaufenen Augen sah er mich an. "Es tut mir leid", flüsterte er, drehte sich um und bewegte sich zurück auf sein Sofa. Ich trat langsam in seine Wohnung ein und war schockiert von der Unordentlichkeit. "Die Blume? Was ist mit der Blume?", fragte ich nun endlich. "Ist fort." "Fort?" "Fort." "Hast du sie ihnen angeboten?" "Nein." "Sie haben sie dir entrissen?" "Auch nicht." "Sie kamen mit Bonbons?" "Ja." Und plötzlich wurde mir alles klar. Ganz gleich, wie gut mein Freund auf die Blume aufgepasst hat, gegen die Bonbons hatte er keine Chance. Er war nicht stark genug, das war er noch nie. Nach zwei, drei Bonbons ist man kein Mensch mehr. Alles wird wirr, man ist eine andere Person und man wird willenlos. Der Trieb übernimmt die vollkommende Kontrolle über den Körper. Darum viel es der Masse auch nicht schwer, sich die Blume zu verschaffen. Sie lag praktisch auf dem Präsentierteller. Er wusste doch von der Wirkung der Bonbons. Warum macht er es trotzdem? Die Blume war mir zu wichtig, als dass er sie so einfach weggeben konnte. Wie kann ich ihm je wieder vertrauen? Soll er den Bonbons gänzlich abschwören? Ist er so auf die Masse und deren Ansehen angewiesen? Bedeute ich ihm nichts?




 
Autorin: Nina, 18, weiblich.

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Zuletzt geändert: 24.12.02, 20:33
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